Der Einsteinturm ist eine Ikone der Moderne. Er wurde 1920–22 von Erich Mendelsohn in einer Weise erbaut, die mit allen Traditionen brach. Die Wüstenrot Stiftung hat die letzten beiden Instandsetzungen dieses bedeutenden Denkmals durchgeführt. Das Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) betreibt den Einsteinturm immer noch in seiner ursprünglichen Funktion: als Sonnenteleskop.
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Projekt

Der Einsteinturm ist ein Sonnenteleskop, das vom Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) betrieben wird. Der Architekt Erich Mendelsohn erbaute den Einsteinturm 1920–22. Die Wüstenrot Stiftung hat die letzten beiden großen Instandsetzungen 1997–99 und 2021–23 durchgeführt und dabei alle historischen Schichten behutsam konserviert. Die digitale Ausstellung »Einsteinturm revisited« lädt dazu ein, in die Entstehungsgeschichte des Turms einzutauchen, seine wissenschaftlichen Voraussetzungen nachzuvollziehen und die Besonderheiten zu begreifen, ihn als Denkmal zu bewahren.

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Mendelsohns Skizzen

(1917)

„Aber letzten Endes behält die erste Skizze ihr Recht. Behält sie Recht, so ist das ein untrügliches und befreiendes Zeichen, daß die Arbeit auf dem Wege ist, ein Kunstwerk zu werden. So sehr begebe ich mich unter die Herrschaft des Unbewußten. Denn der Intellekt baut zusammen, aber die Intuition gestaltet.“ (Erich Mendelsohn über seine Arbeitsweise im Jahr 1928)

Nach seinem Architekturdiplom 1912 gestaltete Erich MendelsohnErich Mendelsohn (1887–1953), Architekturstudium an der TH (Berlin-)Charlottenburg und TH München. Hochzeit mit Luise Maas 1915. Nach Rückkehr aus dem 1. Weltkrieg Gründung des eigenen Büros in Berlin, das zu einem der erfolgreichsten und bekanntesten deutschen Architekturbüros wird. 1933 Emigration nach England, 1939 Umzug nach Jerusalem, 1941 in die USA. Bedeutende Bauten in all diesen Ländern. Bühnenbilder und entwarf Kostüme. Hochbauten blieben bei ihm mangels Auftraggeber auf „imaginäre Skizzen“ beschränkt, die allerdings schon damals visionär mit neuen Baustoffen und technischen Möglichkeiten spielten.

Erich Mendelsohn
Erich Mendelsohn um 1925.

Der 1914 ausbrechende Erste Weltkrieg war alles andere als hilfreich für die Karriere des jungen Architekten. Mendelsohn meldete sich auf Rat von Freunden freiwillig beim Roten Kreuz und wurde zum Sanitätssoldaten ausgebildet. Nach der Beförderung zum Unteroffizier kurz vor seiner Hochzeit mit Luise MaasLuise Mendelsohn, geb. Maas (1894–1980), Cello-Studium in London, Leipzig und Berlin. Lernte 1910 Erich Mendelsohn kennen, Hochzeit 1915. 1916 Geburt der Tochter Marie Luise Esther. Aufgabe der musikalischen Karriere und Unterstützung Erichs nach Gründung des eigenen Büros. Viele Aufträge Erichs, u.a. für den Einsteinturm, gehen auf Luises Netzwerk zurück. Auch nachdem die Familie Mendelsohn von den Nazis aus Deutschland vertrieben wurde, sicherte Luise ihrem Mann viele neue Aufträge. Nach Erichs Tod ordnete sie seinen Nachlass. im Jahr 1915 drohte ihm der Einsatz an der Front. Dank Luises Kontakte wurde Erich im Dezember 1915 zu den Pionieren nach Spandau versetzt. 1917 musste er dann aber doch noch an die (damals recht ruhige russische) Front. Dort konnte er immer wieder an seinen Skizzen arbeiten, auch wenn Papier knapp war. Deshalb sind viele dieser Skizzen kleinformatig. Er schickte sie mit der Feldpost an seine Frau, um ihre Meinung und Kritik zu hören.

“Freundliches“, tellurisches und planetarisches“

Damals war der Kontakt zu Erwin Finlay Freundlich, dem Astrophysiker, der auf der Suche nach dem Beweis der Relativitätstheorie war, bereits hergestellt. Bei gemeinsamen Musikabenden – Freundlich spielte wie Luise Cello – und dann auch im brieflichen Austausch erzählte Freundlich den Mendelsohns von seinen Bestrebungen, Einsteins Relativitätstheorie empirisch zu überprüfen. Aus diesem Austausch entstanden erste freie Skizzen, die Erich an Luise Mendelsohn am 24. Juni 1917 mit den Worten schickte: „Nach einer Stunde Mittagsschlaf plötzlich Zeichenfieber mit einer Menge Skizzen, die vielleicht so spontan bleiben, vielleicht zur Durchführung kommen. Das hängt ganz von der ruhigen Zeit und äußeren Dingen ab. […] Meist “Freundliches“, tellurisches und planetarisches.“

Skizzen zum Observatorium 1917
Diese Skizzen entstanden noch vor den ersten konkreten Angaben von Freundlich, während Mendelsohn im Ersten Weltkrieg an der russischen Front war (1917). Die Diskussion zwischen Freundlich und Mendelsohn über Form und Funktion des Einsteinturms begann anhand dieser Skizzen.

Das erste Briefing

Am 2. Juli 1918 beschrieb Freundlich in einem Brief an Mendelsohn, der jetzt an der französischen Front stationiert war, sehr genau die wissenschaftlich nötigen Funktionen der Forschungsanlage: „Ich habe mir die Sache folgendermaßen gedacht. Ein Betonturm von 15 m Höhe trägt oben die kleine Kuppel von 1,5–2,0 Meter Durchmesser. Der Turm ist doppelwandig, d.h. sein äusserer Mantel umfasst einen ganz isolierten Schornstein von vielleicht 500 mm freier Öffnung und 500 mm Wandstärke. Auf diesem Schornstein steht ein CoelostatEin Coelostat oder Zölostat besteht in der Regel aus zwei Spiegeln, die so angeordnet sind, dass man mit einem feststehenden Teleskop (z.B. einem Turmteleskop) der Bewegung von Himmelskörpern über den ganzen Tages- bzw. Nachtverlauf folgen kann. (Heliostat), der mit Hilfe seiner Spiegel das Bild der Sonne senkrecht nach unten in ein unterirdisches Laboratorium wirft, so dann auf einem horizontalen Betonfundament (isoliert) Spalt, Kamera, Diffraktionsgitter zur Erzeugung des Spektrums montiert sind. Das unterirdisches Laboratorium ist etwa 15 m lang und nur so hoch und breit als unbedingt nötig, da es auf konstanter Temperatur gehalten werden soll. An das Laboratorium grenzen nur durch Fensterchen beziehungsweise Doppeltüren mit ihm verbunden, mehrere Räume und zwar 1) der Raum für den elektrischen Ofen, 2) der Raum für elektrische Bogenlampen; beide für sich gut ventiliert und mit Anschlüssen an Starkstromanlagen bzw. Luftpumpen versehen. Ferner liegt dort eine Dunkelkammer und ein Arbeitszimmer mit Ausgang in die Oberwelt. Am Fusse des Turms steht nur ein kleines Häuschen, das vielleicht ein oder 2 Räume hat und nach unten ins Laboratorium führt. Meine Skizze ist natürlich nur schematisch zu verstehen.“ Er bittet Mendelsohn um weitere Skizzen, die auf diesem Programm basieren, während er gleichzeitig versuchte, Geld für den Bau einzutreiben.

Einsteinturm, Ideenskizze, Observatorium und astrologisches Institut. Skizze des Aufrisses einer Seite
In diesen Skizzen (nun von der französischen Front 1918) spiegelt sich das erste „Briefing“ Freundlichs wider, in dem er Arbeits- und Laborräume sowie eine gewisse Höhe des Turmteleskops forderte. Luise Mendelsohn schreibt ihrem Mann am 12. Juli 1918 prompt eine Einschätzung: „Ich mag das Projekt mit dem überirdischen Laboratorium lieber – da staffelt sich der Turm besser in die Höhe – anders steht er so unvermittelt da.“

Skizzieren ist Denken mit dem Stift

Die lange Vorgeschichte, während der Mendelsohn in direktem Kontakt mit Freundlich aber noch ohne Beauftragung Ideen für das Turmteleskop entwickelte, sollte sich in der dann recht kurzen und intensiven Planungs- und Bauzeit auszahlen. Die vielen Anpassungen, die zwischen den dynamischen Visionen seiner Skizzen und den technischen Anforderungen erforderlich waren, spiegeln sich auch in der weiteren Entwicklung der Skizzen wider.

Skizze Mendelsohns für den Einsteinturm 1920
Variationen des Themas während der immer konkreter werdenden Planungsphase 1920. Die Skizzen probieren verschiedene Möglichkeiten der Gestaltung der Frontseite und der Gliederung des Turms durch. Sie sind auch Farbstudien Mendelsohns: „Denn zu absoluter Form gehört auch absolutes Ornament. Das ist das Licht und ihr Abstract die Farbe.“ (Mendelsohn in einem Brief an Freundlich am 29./30.10.1917)
Entwurfsskizze Mendelsohns für den Einsteinturm aus dem Jahr 1920
In einem Brief vom 18. Juni 1920 an Luise Mendelsohn beschreibt Erich Mendelsohn diese drei dem Brief beigelegten Skizzen wie folgt: „1. die bisherige Fassung; 2. die letzte. Du erkennst den letzten Schritt nach Fortfall der Eckpfeiler zu beiden Seiten des Eingangs. Dadurch kommt die Ringidee an der hervorragendsten Stelle zum kühnsten Eisenbetonschwung. Ich werde den Oberbau u. die Ringseite des Turms, wenn’s irgend geht, vollständig betonieren. 3. Eine Variante zu 2. Der Fensterring ist vor die Mauerfläche gelegt. Was meinst Du? Noch ist’s Zeit.“
letzte Entwurfsskizze Mendelsohns für den Einsteinturm, 1920
Diese letzte und berühmteste Entwurfsskizze (wahrsch. Juni 1920) kann als Essenz Mendelsohns Annäherungen an die Bauaufgabe seit 1917 gelesen werden, die sowohl die wissenschaftlichen Funktionen als auch die technischen und finanziellen Machbarkeiten berücksichtigt.

Skizzieren sollte ein ständiger Begleiter im Leben Erich Mendelsohns bleiben. Die freie Handskizze war meistens sein erster Zugang zu einer neuen Bauaufgabe, oft erarbeitet beim Hören der Musik von Johann Sebastian Bach. Er hinterließ am Ende seines Lebens nicht nur ein extrem vielfältiges Werk auf der ganzen Welt, sondern auch einen umfassenden zeichnerischen Nachlass mit 1.700 Blatt Handskizzen.

Erich Mendelsohn beim Skizzieren in Amerika 1952, schräg von hinten, rauchend, die Asche der Zigarette ist lang, aber fällt nicht
Erich Mendelsohn beim Skizzieren in Amerika, rauchend (1952).