Der Einsteinturm ist eine Ikone der Moderne. Er wurde 1920–22 von Erich Mendelsohn in einer Weise erbaut, die mit allen Traditionen brach. Die Wüstenrot Stiftung hat die letzten beiden Instandsetzungen dieses bedeutenden Denkmals durchgeführt. Das Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) betreibt den Einsteinturm immer noch in seiner ursprünglichen Funktion: als Sonnenteleskop.
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Projekt

Der Einsteinturm ist ein Sonnenteleskop, das vom Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) betrieben wird. Der Architekt Erich Mendelsohn erbaute den Einsteinturm 1920–22. Die Wüstenrot Stiftung hat die letzten beiden großen Instandsetzungen 1997–99 und 2021–23 durchgeführt und dabei alle historischen Schichten behutsam konserviert. Die digitale Ausstellung »Einsteinturm revisited« lädt dazu ein, in die Entstehungsgeschichte des Turms einzutauchen, seine wissenschaftlichen Voraussetzungen nachzuvollziehen und die Besonderheiten zu begreifen, ihn als Denkmal zu bewahren.

Projektteam

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Start: Luise Mendelsohn

(1915)

Luise MaasLuise Mendelsohn, geb. Maas (1894–1980), Cello-Studium in London, Leipzig und Berlin. Lernte 1910 Erich Mendelsohn kennen, Hochzeit 1915. 1916 Geburt der Tochter Marie Luise Esther. Aufgabe der musikalischen Karriere und Unterstützung Erichs nach Gründung des eigenen Büros. Viele Aufträge Erichs, u.a. für den Einsteinturm, gehen auf Luises Netzwerk zurück. Auch nachdem die Familie Mendelsohn von den Nazis aus Deutschland vertrieben wurde, sicherte Luise ihrem Mann viele neue Aufträge. Nach Erichs Tod ordnete sie seinen Nachlass. wuchs in Mannheim und in Königsberg auf. Ihre Eltern entstammten angesehenen Familien, die im Tabak- und Teehandel in den beiden Städten tätig waren. In Königsberg erhält sie mit 14 Jahren Cello-Unterricht beim Dirigenten Max Brode. Danach studierte sie Cello bei Ludwig Lebell in London, Julius Klengel in Leipzig und Hugo Becker in Berlin. Der Beginn des Ersten Weltkriegs machte ihren Plan zunichte, an der Berliner Musikhochschule zu studieren.

Foto von Luise Mendelsohn
Luise Mendelsohn mit Anfang 30.

1910, als sie erst 16 Jahre alt war, lernte sie über einen Bekannten ihrer Schwester Erich MendelsohnErich Mendelsohn (1887–1953), Architekturstudium an der TH (Berlin-)Charlottenburg und TH München. Hochzeit mit Luise Maas 1915. Nach Rückkehr aus dem 1. Weltkrieg Gründung des eigenen Büros in Berlin, das zu einem der erfolgreichsten und bekanntesten deutschen Architekturbüros wird. 1933 Emigration nach England, 1939 Umzug nach Jerusalem, 1941 in die USA. Bedeutende Bauten in all diesen Ländern. kennen. Sie selbst sagte dazu rückblickend in ihrer in Teilen veröffentlichten Autobiografie: „Ich machte schwierige Zeiten durch. Wegen ihrer [Luises Mutters] Vorurteile war sie unfähig, das Genie des Mannes zu erkennen, den ich liebte. Die Tatsache, dass er nicht gut aussah, aus bescheidenen Verhältnissen stammte und kein Geld hatte, war für sie inakzeptabel. Für mich jedoch war es keine Frage, ich würde ihn nach dem Krieg heiraten. Aber das Schicksal wollte es anders: Ich wurde schwanger und wir heirateten.“ Die Hochzeit fand im Oktober 1915 statt. Im Mai 1916 bringt Luise Mendelsohn Marie Luise Esther zur Welt. Sie sollte die einzige Tochter der beiden bleiben.

Foto von Erich und Luise Mendelsohn
Luise Mendelsohn mit Erich in Uniform, 1917.

Nachdem Erich Mendelsohn Anfang November 1918 nach einer Erkrankung an der Spanischen Grippe von der französischen Front zurückkehrte, gründete er unmittelbar sein eigenes Architekturbüro in der Ahornallee 25 in Berlin. Luise, Esther und Erich Mendelsohn lebten damals nicht weit entfernt in der Pension Westend in der Kastanienallee 33. Dies war die Pension, in der Luise bereits 1913/14 mit ihrer Mutter lebte, als sie bei Hugo Becker Cello studierte. Insgesamt lebten die Mendelsohns elf Jahre in dieser Pension und mieteten mit der Zeit immer mehr Zimmer an. Im Gegensatz zu Erich verfügte Luise bereits über ein soziales Netzwerk in Berlin. 1915 stellte sie ihm einen Freund vor, der wie sie Cello spielte: den Astrophysiker Erwin Finlay FreundlichErwin Finlay Freundlich (1885–1964), Astrophysiker. Assistent an der Berliner Sternwarte ab 1910. Ab 1918 erster Mitarbeiter an Einsteins Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik. Planung des Einsteinturms als leistungsstärkstes Sonnenobservatorium Europas. Direktor des Einsteinturms ab 1920. Vertreibung durch die Nazis, ab 1933 Professor für Astronomie in Istanbul. Ruf an die Deutsche Uni in Prag 1936. Flucht nach Holland 1939. Dann an der schottischen St.-Andrews-University, Aufbau einer Astronomischen Abteilung mitsamt Sternwarte, ab 1951 Napier-Professur für Astronomie.. Freundlich plante damals schon die Errichtung eines großen Sonnenteleskops zur Überprüfung Albert EinsteinsAlbert Einstein (1879–1955), einer der bedeutendsten Physiker der Wissenschaftsgeschichte. Entwicklung der Relativitätstheorie ab 1905. Ab 1914 Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften, ab 1917 Direktor des für ihn gegründeten Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik. Nobelpreis 1921 (verliehen 1922). Lehr- und Forschungsaufenthalte in den USA. Von seinem Aufenthalt in Princeton 1932/33 kehrte er nicht mehr nach Deutschland zurück. Deutliche Haltung gegenüber Nazi-Deutschland auch nach 1945. Emeritierung 1946, danach weiter am Institute of Advanced Studies in Princeton. Relativitätstheorie. Er nutzte den Kontakt zu Erich Mendelsohn, um seine wissenschaftlich-technischen Ideen auf ihre architektonische Machbarkeit hin zu überprüfen, noch lange bevor Mendelsohn offiziell mit der Errichtung dessen beauftragt wurde, was später als Einsteinturm weltberühmt werden sollte.

Eine andere Freundin Luises war Molly Philippson, in deren Salon viele spätere Auftraggeber Erich Mendelsohns verkehrten. Durch Luises Vermittlung hielt Erich hier mehrere Vorträge, in denen er sein architektonisches Programm skizzierte. Auch nach der Vertreibung der Mendelsohns aus Deutschland durch die Nazis war es oft Luise, die den Kontakt zu Auftraggebern erst in England, dann in Palästina und schließlich in den USA schuf.

Foto von Luise und Esther Mendelsohn
Luise Mendelsohn mit ihrer Tochter Esther in der Berliner Pension Westend um 1925.

Luise war nicht nur bei der Akquise neuer Architekturprojekte entscheidend für Erich, sie war auch ein beständiges Korrektiv seiner Arbeit. Sie sah seine Entwürfe als erste. Die Diskussion mit ihr prägte seine Entwürfe. Das war nicht nur bei seinen ersten, expressionistischen Skizzen der Fall, sondern auch beim ersten realisierten Bauwerk Mendelsohns, dem Einsteinturm. Erich beschreibt den Austausch mit Luise beim Einsteinturm wie folgt: „Was bei mir auf komplexer Erkenntnis beruht, wird von Dir gefuehlsmaessig erkannt. Dass wir das haben, ist schoenstes Zeichen unserer Gemeinschaft, ist letzte Uebereinstimmung, weil der Ausgang des Urteils vom entgegengesetzten Pol kommt. Der eckige Turm bleibt nun. Der Grundriss ist voellig uebereinstimmend und – fertig. Freundlich war gegen Abend hier und restlos gluecklich. Die Eckfenster des Turms sind bereits hautbelebend herausgezogen. Die Raumbewegungen im Innen voll Ueberraschung. Wenn die Ausfuehrung so ermoeglicht werden kann, wie ich sie sehe, so kann das Ende nur befriedigend sein. Jedenfalls sind nunmehr alle Beamtenhindernisse ueberwunden und der Beginn taeglich moeglich.“ (Erich Mendelsohn in einem Brief an Luise Mendelsohn am 2. Juli 1920; Schreibmaschinenabschrift durch Luise Mendelsohn auf amerikanischer Schreibmaschine ohne Umlaute und ß)

Die Architekturgeschichte des Einsteinturms beginnt also mit Luise Mendelsohn. Ihre Vermittlung führte dazu, dass Erich Mendelsohn auf einmal ein sehr konkretes Ziel mit seinen bis dahin utopischen Ideen und Skizzen verfolgen konnte. Zwar wird Erich Mendelsohn 1917 an die Front des Ersten Weltkriegs geschickt, doch findet er dort immer wieder die Möglichkeit, das Projekt von Freundlich zu bearbeiten und sich mit ihm und mit Luise Mendelsohn darüber auszutauschen.

Luise und Erich Mendelsohn
Luise und Erich Mendelsohn.