Der Einsteinturm ist eine Ikone der Moderne. Er wurde 1920–22 von Erich Mendelsohn in einer Weise erbaut, die mit allen Traditionen brach. Die Wüstenrot Stiftung hat die letzten beiden Instandsetzungen dieses bedeutenden Denkmals durchgeführt. Das Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) betreibt den Einsteinturm immer noch in seiner ursprünglichen Funktion: als Sonnenteleskop.
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Projekt

Der Einsteinturm ist ein Sonnenteleskop, das vom Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) betrieben wird. Der Architekt Erich Mendelsohn erbaute den Einsteinturm 1920–22. Die Wüstenrot Stiftung hat die letzten beiden großen Instandsetzungen 1997–99 und 2021–23 durchgeführt und dabei alle historischen Schichten behutsam konserviert. Die digitale Ausstellung »Einsteinturm revisited« lädt dazu ein, in die Entstehungsgeschichte des Turms einzutauchen, seine wissenschaftlichen Voraussetzungen nachzuvollziehen und die Besonderheiten zu begreifen, ihn als Denkmal zu bewahren.

Projektteam

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Ergebnisse

(1924)

Am 6. Dezember 1924 wurde der Einsteinturm offiziell im Rahmen einer Kuratoriumssitzung der Einstein-StiftungEinstein-Stiftung: Nachfolgerin der Einstein-Spende. Kuratorium der Einstein-Spende: Albert Einstein, Gustav Müller (Direktor des AOP 1917–21), Erwin Finlay Freundlich und Rudolf Schneider (Geschäftsführer des Reichsverbands der deutschen Industrie). 1921 Übergang in die Einstein-Stiftung, Kuratorium nun auch mit Hans Ludendorff, Rechtsanwalt Ludwig Ruge, Carl Bosch (Direktor von BASF) sowie zwei Repräsentanten des Preußischen Kultusministeriums und weiteren Vertretern aus Industrie, Wissenschaft und Politik. eröffnet. Erwin Finlay FreundlichErwin Finlay Freundlich (1885–1964), Astrophysiker. Assistent an der Berliner Sternwarte ab 1910. Ab 1918 erster Mitarbeiter an Einsteins Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik. Planung des Einsteinturms als leistungsstärkstes Sonnenobservatorium Europas. Direktor des Einsteinturms ab 1920. Vertreibung durch die Nazis, ab 1933 Professor für Astronomie in Istanbul. Ruf an die Deutsche Uni in Prag 1936. Flucht nach Holland 1939. Dann an der schottischen St.-Andrews-University, Aufbau einer Astronomischen Abteilung mitsamt Sternwarte, ab 1951 Napier-Professur für Astronomie. berichtete in dieser Sitzung von den Forschungsarbeiten, die in den letzten beiden Jahren im Einsteinturm bereits erfolgten. Voll Zuversicht beschrieb er seinen Plan, durch den endlich in der Kuppel eingebauten CoelostatenEin Coelostat oder Zölostat besteht in der Regel aus zwei Spiegeln, die so angeordnet sind, dass man mit einem feststehenden Teleskop (z.B. einem Turmteleskop) der Bewegung von Himmelskörpern über den ganzen Tages- bzw. Nachtverlauf folgen kann. und die Messanlage im unterirdischen Spektrographenraum die Rotverschiebung des Sonnenlichts überprüfen zu können. Der Einsteinturm war damals die größte Sonnenforschungsanlage Europas. Das Teleskop und die Ausstattung des Labors gehörten lange Zeit zu den weltweit leistungsstärksten Anlagen dieser Art.

Sonnenscheibe auf Eintrittsspalt des Kellerlabors
Untersuchungen im Kellerlabor des Einsteinturms 1928: die Sonne erscheint auf dem Eintrittsspalt des Kellerlabors. Hier können fotografische Aufnahmen der gesamten Sonnenoberfläche gemacht werden oder, durch die Öffnung des Eintrittsspalts, bestimmte Regionen der Sonne im Inneren des Labors spektral analysiert werden.

Originale Ausstattung

Im Inneren des Labors gab es zwei verschiedene Spektrographen: einen Prismenspektrographen mit zwei großen Quarzprismen und einen Gitterspektrographen mit einem Reflektionsgitter. Der originale Gitterspektrograph hatte ein Plangitter von 12,5x9 cm mit insgesamt 100.000 Linien. Heute sind die Plangitter kleiner (4,2x3,2 und 3,2x2,2 cm) und weisen dabei sehr viel mehr Linien auf (265.000 bzw. 190.000 Linien). Nach der Reflektion mit den dreieckigen Furchen des Gitters ist das Sonnenlicht spektral zerlegt.

Ursprünglich wurde das Sonnenlicht mit zwei irdischen Lichtquellen verglichen: dem eines Spektralofens und dem einer Bogenlampe. Eine Bogenlampe ist eine elektrische Lichtquelle mit einem zwischen zwei Elektroden aus Graphit in der Luft brennenden Lichtbogen und einer Leistung von bis zu 10 Kilowatt. Der Spektralofen kann im Vakuum bis zu 3.000° C aufgeheizt werden. Die Hoffnung war, damit Temperatur- und Druckverhältnisse wie auf den kühlsten Sternen zu erzeugen und das Licht von Ofen und Lampe mit dem der Sonne zu vergleichen.

Spektralofen im Einsteinturm 1927
Der Spektralofen als eine von zwei irdischen Lichtquellen zum Vergleich mit dem Sonnenlicht, ausgerichtet auf den Eintrittsspalt des inneren Labors.
Mikrophotometer aus dem Einsteinturm 1927
Das Mikrophotometer entwickelte im nördlichen Kellerraum aus den fotografisch aufgezeichneten Spektren maßstabsgetreu vergrößerte Schwärzungsdiagramme, welche die chemische Zusammensetzung der Lichtquellen (d.h. in diesem Fall Sonne, Spektralofen, Bogenlampe) analysieren lassen.

Erforschung des Magnetfelds der Sonne und der Sonnenkorona

EinsteinAlbert Einstein (1879–1955), einer der bedeutendsten Physiker der Wissenschaftsgeschichte. Entwicklung der Relativitätstheorie ab 1905. Ab 1914 Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften, ab 1917 Direktor des für ihn gegründeten Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik. Nobelpreis 1921 (verliehen 1922). Lehr- und Forschungsaufenthalte in den USA. Von seinem Aufenthalt in Princeton 1932/33 kehrte er nicht mehr nach Deutschland zurück. Deutliche Haltung gegenüber Nazi-Deutschland auch nach 1945. Emeritierung 1946, danach weiter am Institute of Advanced Studies in Princeton. und FreundlichErwin Finlay Freundlich (1885–1964), Astrophysiker. Assistent an der Berliner Sternwarte ab 1910. Ab 1918 erster Mitarbeiter an Einsteins Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik. Planung des Einsteinturms als leistungsstärkstes Sonnenobservatorium Europas. Direktor des Einsteinturms ab 1920. Vertreibung durch die Nazis, ab 1933 Professor für Astronomie in Istanbul. Ruf an die Deutsche Uni in Prag 1936. Flucht nach Holland 1939. Dann an der schottischen St.-Andrews-University, Aufbau einer Astronomischen Abteilung mitsamt Sternwarte, ab 1951 Napier-Professur für Astronomie. waren sich durchaus bewusst, dass der Nachweis der relativistischen Rotverschiebung nicht einfach sein würde. Bald stellte sich heraus, wo die eigentliche Herausforderung lag. Am Rande der Sonnenscheibe konnte man mithilfe des Einsteinturms zwar die von Einstein vorhergesagte Rotverschiebung nachweisen. In der Sonnenmitte hingegen dominierte eine der Rotverschiebung entgegengesetzte Violettverschiebung. Hinzu kam, dass diese sehr kleinen Verschiebungen durch Turbulenzen an der Sonnenoberfläche überdeckt wurden. Die Forscher am Einsteinturm veränderten ihren Forschungsfokus daher auf die äußeren Sonnenschichten und die dort vorkommenden Turbulenzen. Die Untersuchung des Magnetfelds und der Atmosphäre der Sonne ist ein Forschungsfeld, das bis heute eine zentrale Rolle am AIPLeibniz-Institut für Astrophysik Potsdam, früher Astrophysikalisches Institut Potsdam (AIP), 1992 gegründet als Nachfolge-Institution des Zentralinstituts für Astrophysik, Umbenennung in Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam 2011. Die Forschungsgebiete des AIP sind extragalaktische Astrophysik sowie Sonnen- und Sternphysik mit Schwerpunkt auf stellaren und kosmischen Magnetfeldern, Stern- und Galaxienentstehung und Kosmologie. Das AIP ist an mehreren Teleskopen auf dem Teide Vulkan in Teneriffa beteiligt und ist Partner des Large Binocular Telescope in Arizona. Es entwickelt außerdem astronomische Instrumentierung für Großteleskope wie dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO). spielt.

Harald v. KlüberHarald v. Klüber (1901–1978), Astrophysiker, Studium u.a. bei Max Planck und Albert Einstein in Berlin. Mitarbeiter Freundlichs ab 1923. Er half wesentlich dabei, die wissenschaftliche Einrichtung des Einsteinturms zum Laufen zu bringen. Ab 1946 Direktor der Abteilung Sonnenphysik. Ab 1948 Observatorium Arosa der Uni Zürich, ab 1949 Universitätssternwarte im englischen Cambridge, dort Assistant Director ab 1961. Studien zur Sonnenkorona, Expeditionen zu vielen Sonnenfinsternissen auf der ganzen Welt., einer der frühen Mitarbeiter Freundlichs, entwickelte eine Möglichkeit, die Stärke und Richtung der Magnetfelder der Sonne zu untersuchen. Walter GrotrianWalter Grotrian (1890–1954), Astrophysiker, seit 1922 am Einsteinturm, ab 1927 Professor für Astrophysik an der Berliner Humboldt-Universität. Pionier in der Erforschung der Sonnenkorona. Er führte die bis heute unter dem Namen „Grotrian-Diagramme“ üblichen Darstellungen der Energieniveaus von Atomen ein. fokussierte sich auf die Sonnenkorona. Auf einer mit Freundlich organisierten Sonnenfinsternis-Expedition nach Sumatra 1929 entdeckte er, dass die Sonnenkorona über eine Million Grad Celsius heiß ist, ein Meilenstein in der Sonnenforschung. Grotrian erstellte am Einsteinturm auch ein Modell der physikalischen Natur von Sonnenflecken.

Der Einsteinturm war Ausgangspunkt mehrerer Expeditionen zu Sonnenfinsternissen. Die Expedition 1922 zur Sonnenfinsternis auf den Christmas Islands in Indonesien blieb wegen schlechten Wetters ohne Ergebnis. Freundlich plante, unterstützt von Grotrian und Klüber, weitere Expeditionen nach Sumatra (1926 nach Benkoelen, 1929 nach Takengon), um hier, neben anderen Forschungsfragen, der relativistischen Lichtablenkung nachzugehen und zu überprüfen, was Arthur EddingtonArthur S. Eddington (1882–1944), Astrophysiker, früher Befürworter Einsteins Relativitätstheorie. Direktor des Observatoriums der Universität Cambridge seit 1914. 1923 veröffentlichte er eines der ersten Lehrbücher über die Relavitätstheorie. Da Eddington viele seiner Bücher mit anschaulichen Beispielen und Witzen spickte, wurden gerade seine wissenschaftsphilosophischen Werke auch außerhalb der wissenschaftlichen Community gelesen. 1919 bei seiner Expedition nach Príncipe und Brasilien herausfand.

Erwin Finlay Freundlich vor einem Astrographen bei seiner Sonnenfinsternis-Expedition nach Sumatra 1929
Erwin Finlay Freundlich bei der Expedition nach Sumatra 1929, bei der Freundlich die relativistische Rotverschiebung und Walter Grotrian die Sonnenkorona erforschte.
Harald v. Klüber vor dem Einsteinturm mit einem Astrographen
Harald v. Klüber 1932 an einem Astrographen zur Fotografie von Sonnenfinsternissen. Trotz der 1927 erfolgten Sanierung sieht man bereits wieder Durchfeuchtungsstellen am Einsteinturm im Hintergrund.

Verdrängung Einsteins und Freundlichs durch die Nazis

Am Einsteinturm gab es in den 1920er-Jahren Forschungsbedingungen, wie sie in Europa selten, wenn nicht einmalig waren. Das lag nicht nur an der Finanzierung und an der technischen Einrichtung des Turms, sondern auch an den weit verzweigten, internationalen Kontakten Freundlichs zu anderen Astrophysikern. Am 1. Oktober 1931 ging der bis dahin als private Stiftung organisierte Einsteinturm satzungsgemäß in die Hand des Staates über. Freundlich, der sich damals schon länger im Streit mit Einstein befand (Einstein brach 1925 den Kontakt zu Freundlich ab), schaffte es, dass sich Einstein dennoch für die Unabhängigkeit des Einsteinturms einsetzte. Diese sollte endgültig mit der Machtübernahme der Nazis enden. Der AOPAstrophysikalisches Observatorium Potsdam/AOP, Gründung 1874 zur systematischen Erforschung der chemischen Zusammensetzung und physikalischen Zustände von Himmelskörpern mittels der gerade entdeckten Spektralanalyse. 1879 Fertigstellung des Hauptgebäudes auf dem Telegrafenberg in Potsdam. Nach dem 2. Weltkrieg von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin übernommen und 1969 zum Zentralinstitut für Astrophysik der DDR gemacht. Vorgänger-Institution des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP).-Direktor und Nazi-Sympathisant Hans LudendorffHans Ludendorff (1873–1941), Astrophysiker, seit 1898 am Astrophysikalischen Observatorium Potsdam (AOP), ab 1921 dessen Direktor. Gegenspieler Freundlichs, der ihm zu eigenmächtig in dem damals noch vom AOP getrennten Einstein-Institut wirkte. Ab 1933 kappte Ludendorff, der mit den Nazis sympathisierte, das internationale wissenschaftliche Netzwerk, das insbes. Freundlich aufgebaut hatte, um stattdessen im Sinne der Nazis die Forschung auf Vorhersagen von Störungen der militärischen Kommunikation durch Sonnenaktivitäten zu fokussieren. wusste die neuen Machtverhältnisse für sich zu nutzen. Bereits im April 1933 wurde der Einsteinturm in „Institut für Sonnenphysik“ umbenannt und vollständig in die Struktur des AOP integriert. Ludendorff und die Nationalsozialisten im Kultusministerium drängten Freundlich aus dem Einsteinturm, woraufhin dieser einen Ruf an die Universität in Istanbul annahm. Einstein war schon 1932 von einem Aufenthalt an der Universität in Princeton aus den USA nicht zurückgekehrt und kritisierte offen den deutschen Faschismus, als die meisten Staaten noch mit Nazi-Deutschland zusammenarbeiteten.

Vorhersage von Funkstörungen

Unter den Nazis wurde die Sonnenphysik „kriegswichtig“, um Funkstörungen durch Sonnenaktivitäten voraussagen zu können. Im Frühjahr 1941 wurde zwar diskutiert, den Einsteinturm abzureißen und in anderer Gestalt neu zu bauen, aber die Forschungsarbeit ging dennoch in Mendelsohns Gebäude weiter, das auch im offiziellen Briefverkehr der Nazis oft noch Einsteinturm genannt wurde, wenn auch in Anführungsstrichen.

Historischer Himmel

Zwischen 1943 und Mitte der 1980er-Jahre wurden ca. 3.000 photographische Vollaufnahmen der Sonnenscheibe und auch Aufnahmen des Sternenhimmels auf Glasscheiben gemacht, auf denen Sonnenflecken und Sonnenfackeln (Gegenden mit erhöhter Helligkeit und Temperatur) erkennbar sind. Das Archiv dieser Glasscheiben wird noch heute im Einsteinturm aufbewahrt und ist digital zugänglich auf der Seite des AIP.

Fotoplatte mit Abbildung der Sonne
Aufnahme der Sonne vom 4. Oktober 1945 aus dem Einsteinturm, an dem die Forschungsarbeiten nach Kriegsende relativ direkt weitergingen.