Der Einsteinturm ist eine Ikone der Moderne. Er wurde 1920–22 von Erich Mendelsohn in einer Weise erbaut, die mit allen Traditionen brach. Die Wüstenrot Stiftung hat die letzten beiden Instandsetzungen dieses bedeutenden Denkmals durchgeführt. Das Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) betreibt den Einsteinturm immer noch in seiner ursprünglichen Funktion: als Sonnenteleskop.
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Projekt

Der Einsteinturm ist ein Sonnenteleskop, das vom Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) betrieben wird. Der Architekt Erich Mendelsohn erbaute den Einsteinturm 1920–22. Die Wüstenrot Stiftung hat die letzten beiden großen Instandsetzungen 1997–99 und 2021–23 durchgeführt und dabei alle historischen Schichten behutsam konserviert. Die digitale Ausstellung »Einsteinturm revisited« lädt dazu ein, in die Entstehungsgeschichte des Turms einzutauchen, seine wissenschaftlichen Voraussetzungen nachzuvollziehen und die Besonderheiten zu begreifen, ihn als Denkmal zu bewahren.

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Relativitätstheorie

(1911)

1905 formulierte Albert EinsteinAlbert Einstein (1879–1955), einer der bedeutendsten Physiker der Wissenschaftsgeschichte. Entwicklung der Relativitätstheorie ab 1905. Ab 1914 Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften, ab 1917 Direktor des für ihn gegründeten Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik. Nobelpreis 1921 (verliehen 1922). Lehr- und Forschungsaufenthalte in den USA. Von seinem Aufenthalt in Princeton 1932/33 kehrte er nicht mehr nach Deutschland zurück. Deutliche Haltung gegenüber Nazi-Deutschland auch nach 1945. Emeritierung 1946, danach weiter am Institute of Advanced Studies in Princeton. in seinem Aufsatz „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“ die spezielle Relativitätstheorie. Er behauptete, dass Längen und Zeitdauern keine absoluten Größen sind, sondern von der Bewegung des Beobachters abhängen. Statt des ’normalen’ dreidimensionalen Raums beschreibt die Relativitätstheorie ein vierdimensionales Raum-Zeit-Kontinuum. In diesem auch Minkowski-Raum genannten Kontinuum sind Zeit und Raum miteinander verbunden. Dass Raum und Zeit nicht absolut sind, widerspricht auf grundsätzlicher Weise unserer alltäglichen Wahrnehmung. Für uns sind Räume feststehende, unveränderliche Einheiten. Zeit ist eine präzise und stetig fortlaufende Größe. Einstein stellte nicht nur unsere Wahrnehmung, sondern auch jahrhundertealte Überzeugungen der Physik in Frage.

Foto von Albert Einstein
Albert Einstein 1912.

1911 veröffentlichte Einstein dann den Aufsatz „Über den Einfluß der Schwerkraft auf die Ausbreitung des Lichtes“, einen der ersten Schritte zur Entwicklung der Allgemeinen Relativitätstheorie. In das neue Verhältnis, das er zwischen Raum und Zeit aufstellte, bezog er jetzt die Schwerkraft mit ein.

Die Allgemeine Relativitätstheorie erweiterte die Gravitationstheorie von Isaac Newton. Ein vereinfachendes Beispiel ist ein von mehreren Menschen gehaltenes Tuch, auf dem eine Bleikugel liegt. Die Kugel macht aufgrund ihres Gewichts eine Delle in das Tuch. Rollt man eine Holzkugel auf das gleiche Tuch, scheint die Holzkugel von der Bleikugel angezogen zu werden, dabei folgt sie nur der Delle im Tuch. Einstein vermutete in seiner Relativitätstheorie, dass sich alles, sei es ein Planet, ein Stern oder ein Lichtstrahl, auf der gekrümmten und gedehnten Oberfläche der Raumzeit bewegt, die in unserem stark vereinfachten Beispiel das Tuch ist.

Im Alltag spielt die Relativitätstheorie kaum eine Rolle, wenn man sich nicht gerade zufällig mit Lichtgeschwindigkeit bewegt oder nah an Schwarzen Löchern wohnt. Denn Zeit kann bei Anwesenheit von Gravitationsfeldern großer Massen, eben von Schwarzen Löchern, gedehnt werden und verrinnt dann langsamer (Zeitdilatation). Diese Effekte spielen aber auch eine Rolle bei sehr präzisen Messungen auf der Erde.

Einsteins Theorie war nicht einfach zu beweisen. Er stellte drei Annahmen auf, anhand derer die Relativitätstheorie empirisch überprüft werden sollte.

1. Periheldrehung des Planeten Merkur

Merkur ist der Planet, der am nächsten an der Sonnenmasse ist. Seine Bahn ist nicht immer bei jeder Umrundung der Sonne gleich, sondern dreht sich leicht im Raum. Dieses bereits seit längerem bekannte Phänomen ließ sich erst mit der Relativitätstheorie genau erklären.

Darstellung Periheldrehung
Stark übertrieben dargestellte Periheldrehung des Merkur.

2. Ablenkung von Strahlung im Gravitationsfeld

Nach dieser Annahme müsste z.B. das Licht eines Sterns von der Sonnenmasse abgelenkt werden. Experimentell kann man das nachweisen, indem man die Position eines Sterns am Nachthimmel bestimmt und diese Position dann noch einmal misst, wenn dieser Stern am Tag nahe der Sonne steht. Diese zweite Messung ist nur bei einer Sonnenfinsternis möglich, da ansonsten die Strahlung der Sonne die des Sterns überlagern würde. Als Einstein seine Theorie aufstellte, hatte noch niemand ein solches Experiment durchgeführt.

Darstellung Gravitationslinse
Das Licht von Sternen, die von der Erde aus gesehen nahe der Sonne stehen, wird von der Sonnenmasse abgelenkt, sodass ihre Position sich von der Erde aus gesehen verändert, wenn die Sonne (wieder von der Erde aus gesehen) neben ihnen steht – so die Relativitätstheorie.

3. Rotverschiebung des Sonnenlichts

Die Relativitätstheorie geht davon aus, dass Strahlung in einem Gravitationsfeld Energie verliert. Am Beispiel der Sonne heißt das, dass ihre Strahlung sozusagen gegen das Gravitationsfeld der Sonnenmasse „ankämpfen“ muss, um von ihr „loszukommen“, und dabei an Strahlungsenergie verliert. Das kann man besonders gut an der energieärmeren roten Strahlung des Sonnenlichts nachmessen, da nach dieser Annahme das Licht minimal langwelliger und damit röter wird (auf Zeitebene wäre dieser Effekt übrigens die Zeitdilatation).

Für die beiden letzten Punkte musste der Nachweis noch erbracht werden. Karl SchwarzschildKarl Schwarzschild (1873–1916), Astrophysiker. Studium der Astronomie in Straßburg und München, dann Mitarbeit an der Kuffner-Sternwarte in Wien. Habilitation in München, Professur an der Sternwarte in Göttingen, dort Direktor von 1901–1909. Ab 1909 Direktor am Astrophysikalischen Observatorium in Potsdam (AOP). Autoimmunerkrankung an der Front des 1. Weltkriegs, Tod 1916. Obwohl er nur 42 Jahre alt wurde, bereitete er sowohl mathematisch als auch empirisch der Relativitätstheorie wesentlich den Weg., damaliger Direktor des Astrophysikalischen ObservatoriumsAstrophysikalisches Observatorium Potsdam/AOP, Gründung 1874 zur systematischen Erforschung der chemischen Zusammensetzung und physikalischen Zustände von Himmelskörpern mittels der gerade entdeckten Spektralanalyse. 1879 Fertigstellung des Hauptgebäudes auf dem Telegrafenberg in Potsdam. Nach dem 2. Weltkrieg von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin übernommen und 1969 zum Zentralinstitut für Astrophysik der DDR gemacht. Vorgänger-Institution des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP). in Potsdam, war einer der wenigen, die sich bereits empirisch mit der Relativitätstheorie beschäftigten. Er fand als erster eine Lösung für die Feldgleichungen Einsteins (um genau zu sein: für diejenige im kugelsymmetrischen Fall, welche die Kopplung von Materie und Raumzeit beschreibt). Diese sog. Schwarzschild-Lösung ist bis heute für die Erforschung Schwarzer Löcher wichtig. Schwarzschild wollte auch die relativistische Rotverschiebung des Sonnenlichts beweisen. Bei seinen Versuchen stellte er aber fest, dass man für den Nachweis dieser winzigen Verschiebung ein Teleskop langer Brennweite und einen Spektrographen hoher Auflösung benötigt, was ihm beides damals nicht zur Verfügung stand.

Foto von Karl Schwarzschild
Karl Schwarzschild.

Einstein selbst war zu dieser Zeit an der Universität in Prag. Seine Kollegen dort hatten kein Interesse daran, ihm bei der empirischen Überprüfung seiner Theorie zu helfen. Von Einsteins Prager Kollegen schickte immerhin Leo Wenzel PollakLeo Wenzel Pollak (1888–1964), Geophysiker und Meteorologe. Privatdozent am Geophysikalischen Institut der Deutschen Universität Prag, an dem auch Einstein kurz Professor war. Habilitation 1922, außerordentlicher Professor ab 1927, ab 1929 Direktor des Prager Geophysikalischen Instituts. Er nutzte Lochkarten für meteorologische Berechnungen und kann damit als Big-Data-Pioneer angesehen werden. 1939 Emigration nach Irland, ab 1947 Professor an der School of Cosmic Physics am Dublin Institute of Advanced Studies. einen Rundbrief, um andere Wissenschaftler aufzufordern, die Relativitätstheorie experimentell zu prüfen. Der einzige, der auf diesen Rundbrief reagierte, war Erwin Finlay FreundlichErwin Finlay Freundlich (1885–1964), Astrophysiker. Assistent an der Berliner Sternwarte ab 1910. Ab 1918 erster Mitarbeiter an Einsteins Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik. Planung des Einsteinturms als leistungsstärkstes Sonnenobservatorium Europas. Direktor des Einsteinturms ab 1920. Vertreibung durch die Nazis, ab 1933 Professor für Astronomie in Istanbul. Ruf an die Deutsche Uni in Prag 1936. Flucht nach Holland 1939. Dann an der schottischen St.-Andrews-University, Aufbau einer Astronomischen Abteilung mitsamt Sternwarte, ab 1951 Napier-Professur für Astronomie.. Freundlich erledigte damals an der Sternwarte in Berlin (ab 1914 in Babelsberg und heute Teil des AIPLeibniz-Institut für Astrophysik Potsdam, früher Astrophysikalisches Institut Potsdam (AIP), 1992 gegründet als Nachfolge-Institution des Zentralinstituts für Astrophysik, Umbenennung in Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam 2011. Die Forschungsgebiete des AIP sind extragalaktische Astrophysik sowie Sonnen- und Sternphysik mit Schwerpunkt auf stellaren und kosmischen Magnetfeldern, Stern- und Galaxienentstehung und Kosmologie. Das AIP ist an mehreren Teleskopen auf dem Teide Vulkan in Teneriffa beteiligt und ist Partner des Large Binocular Telescope in Arizona. Es entwickelt außerdem astronomische Instrumentierung für Großteleskope wie dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO).) Routinearbeiten. Die Anfrage aus Prag war ihm willkommen, um der Langeweile und Begrenztheit seiner damaligen Position zu entkommen.

Brief von Pollak an Freundlich 1911
Brief von Leo Wenzel Pollak an Erwin Finlay Freundlich vom 24.08.1911 mit der Bitte, Albert Einstein von seinen Experimenten zu berichten.

Freundlich fing an, Möglichkeiten der empirischen Überprüfung der Relativitätstheorie zu entwickeln, auch wenn seine Vorgesetzten davon nicht begeistert waren. Freundlich konnte dabei an die Arbeiten von Schwarzschild anknüpfen. Er wusste deshalb, dass er für den Nachweis der Rotverschiebung ein besonderes und großes Teleskop benötigte. Seit 1911 war Freundlich mit Einstein persönlich bekannt. 1914 führte er eine Expedition auf die Krim durch, um die dort stattfindende Sonnenfinsternis für die Überprüfung der Lichtablenkung zu nutzen. Er selbst und sein gesamtes Team wurden auf dem Weg dorthin inhaftiert, weil der Erste Weltkrieg begann. Freundlich brach die Expedition ab und durfte mit seinem Team nach Deutschland zurückreisen.

Kurz darauf lernte der Cello spielende Freundlich die Cellistin Luise MaasLuise Mendelsohn, geb. Maas (1894–1980), Cello-Studium in London, Leipzig und Berlin. Lernte 1910 Erich Mendelsohn kennen, Hochzeit 1915. 1916 Geburt der Tochter Marie Luise Esther. Aufgabe der musikalischen Karriere und Unterstützung Erichs nach Gründung des eigenen Büros. Viele Aufträge Erichs, u.a. für den Einsteinturm, gehen auf Luises Netzwerk zurück. Auch nachdem die Familie Mendelsohn von den Nazis aus Deutschland vertrieben wurde, sicherte Luise ihrem Mann viele neue Aufträge. Nach Erichs Tod ordnete sie seinen Nachlass. kennen. Diese Begegnung mit der Verlobten Erich MendelsohnsErich Mendelsohn (1887–1953), Architekturstudium an der TH (Berlin-)Charlottenburg und TH München. Hochzeit mit Luise Maas 1915. Nach Rückkehr aus dem 1. Weltkrieg Gründung des eigenen Büros in Berlin, das zu einem der erfolgreichsten und bekanntesten deutschen Architekturbüros wird. 1933 Emigration nach England, 1939 Umzug nach Jerusalem, 1941 in die USA. Bedeutende Bauten in all diesen Ländern. sollte entscheidend für die Entstehung des Einsteinturms sein.