Der erste bekannte Plan Erich MendelsohnsErich Mendelsohn (1887–1953), Architekturstudium an der TH (Berlin-)Charlottenburg und TH München. Hochzeit mit Luise Maas 1915. Nach Rückkehr aus dem 1. Weltkrieg Gründung des eigenen Büros in Berlin, das zu einem der erfolgreichsten und bekanntesten deutschen Architekturbüros wird. 1933 Emigration nach England, 1939 Umzug nach Jerusalem, 1941 in die USA. Bedeutende Bauten in all diesen Ländern. für den Einsteinturm, der auf seine Skizzen folgte, basierte auf zwei Grundlagen: einerseits auf den technischen Angaben Erwin Finlay FreundlichsErwin Finlay Freundlich (1885–1964), Astrophysiker. Assistent an der Berliner Sternwarte ab 1910. Ab 1918 erster Mitarbeiter an Einsteins Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik. Planung des Einsteinturms als leistungsstärkstes Sonnenobservatorium Europas. Direktor des Einsteinturms ab 1920. Vertreibung durch die Nazis, ab 1933 Professor für Astronomie in Istanbul. Ruf an die Deutsche Uni in Prag 1936. Flucht nach Holland 1939. Dann an der schottischen St.-Andrews-University, Aufbau einer Astronomischen Abteilung mitsamt Sternwarte, ab 1951 Napier-Professur für Astronomie., andererseits auf einer von Freundlich unterzeichneten Planung, die aber wohl vom Ingenieur Martin SalomonsenMartin Salomonsen (1881–1942), Ingenieur, Studium an der Polyteknisk Læreanstalt in Kopenhagen, nach Anstellung bei der Beton- und Monierbau AG in Berlin als freier beratender Ingenieur tätig. Salomonsen unterstützte Mendelsohn nicht nur beim Einsteinturm, sondern auch beim Entwurf für die Textilfabrik „Rotes Banner“ in Leningrad und beim Bau des Berliner Columbushaus. stammt.
Wohl mit diesem Planungsstand fuhr Mendelsohn im Mai 1920 immer noch ohne offizielle Beauftragung nach Jena. Dort traf er sich mit den Ingenieuren der Firma Carl Zeiss, um seine Pläne mit den technischen Erfordernissen des optischen Geräts abzustimmen, das von Zeiss kam. Der CoelostatEin Coelostat oder Zölostat besteht in der Regel aus zwei Spiegeln, die so angeordnet sind, dass man mit einem feststehenden Teleskop (z.B. einem Turmteleskop) der Bewegung von Himmelskörpern über den ganzen Tages- bzw. Nachtverlauf folgen kann., das obere Spiegelsystem des Teleskops, musste erschütterungsfrei montiert werden. Auch die Linse des Teleskops durfte keinen Kontakt zum Treppenhaus oder zu anderen Teilen des Bauwerks haben. All das erforderte mehr Raum, als von Mendelsohn bis dahin vorgesehen. Er musste einen eigenen Turm für die Optik des Teleskops vorsehen. Um diesen inneren Turm herum entwarf Mendelsohn das eigentliche Gebäude. Dieser „Turm im Turm“ macht das ganze Gebäude etwas voluminöser, als im ersten bekannten Plan dargestellt.
Mendelsohn schrieb darüber an seine Frau: „Am Montag früh dann durchs thüringer Ländle nach Jena zu Zeiss mit anstrengenden Besprechungen. Der Turm bekommt einen etwas dickeren Bauch, dadurch verändern sich naturgemäß alle Verhältnisse. Die Anordnung bleibt dieselbe. Führung durch die Zeiss Fabrik ergab die Übereinstimmung der techn. Grundlagen meiner Optischen Vision. Beweis der Primitivität der Intuition. […] Nun tief in der Arbeit, um die Hermann Fabrik zum Einreichen und Potsdam zum Baubeginn fertig zu machen, bevor ich zu Dir komme, süßes Weib. Bange mich schon schrecklich. Der Mai ist wundervoll warm und ruft Dich. Immer.“ (Brief von Erich an Luise Mendelsohn am 12.05.1920) Kurz darauf schrieb er seiner Frau: „Vielleicht wird es doch ein ganzer Betonbau. Das wäre des Problems wegen sehr wünschenswert.“ (31.5.1920). Dies ist der einzige Hinweis, dass Erich Mendelsohn über eine komplette Ausführung in Stahlbeton (damals Eisenbeton genannt) nachdachte. Alle weiteren der sehr spärlichen Äußerungen zur Materialwahl beziehen sich explizit auf eine Mischbauweise.
Dass Mendelsohn damals nicht nur am Einsteinturm, sondern auch an seiner nicht minder berühmten Hutfabrik für Friedrich Steinberg, Herrmann & Co. in Luckenwalde arbeitete, war angesichts der Not und Inflation der Nachkriegsjahre keine Selbstverständlichkeit. Auch die Akquise der Hutfabrik geht wie der Einsteinturm auf das Konto Luise MendelsohnsLuise Mendelsohn, geb. Maas (1894–1980), Cello-Studium in London, Leipzig und Berlin. Lernte 1910 Erich Mendelsohn kennen, Hochzeit 1915. 1916 Geburt der Tochter Marie Luise Esther. Aufgabe der musikalischen Karriere und Unterstützung Erichs nach Gründung des eigenen Büros. Viele Aufträge Erichs, u.a. für den Einsteinturm, gehen auf Luises Netzwerk zurück. Auch nachdem die Familie Mendelsohn von den Nazis aus Deutschland vertrieben wurde, sicherte Luise ihrem Mann viele neue Aufträge. Nach Erichs Tod ordnete sie seinen Nachlass.. Mit dem Erfolg wuchs auch das erst vor zwei Jahren gegründete Büro, in dem mittlerweile mehrere Architekten für Mendelsohn arbeiteten, unter ihnen Richard NeutraRichard Neutra (1892–1970), Architekt, Studium der Architektur an der TH Wien und an der Bauschule von Adolf Loos. Studium der Gartenarchitektur in Zürich. Ab 1921 Mitarbeiter des Stadtbauamts Luckenwalde, entwarf den dortigen Waldfriedhof. 1921–1923 Mitarbeiter bei Erich Mendelsohn, verantwortlich u.a. für die Landschaftsgestaltung des Einsteinturm..
Die weitere Ausarbeitung des Einsteinturms erfolgte dann in enger Abstimmung mit den Ingenieuren von Carl Zeiss Jena und auch mit Siemens (damals noch Siemens & Halske, die für die technische Ausstattung zuständig waren). So entstand eine Vorstufe zum zweiten Plan, den Mendelsohn im Juni 1919 bei den Astrophysikern in Potsdam vorstellte. Mendelsohn verglaste nach diesen Gesprächen die komplette Südseite des Turms. Auch der Arbeitsraum im EG war großzügig mit Fenstern ausgestattet. Die Raumaufteilung im Grundriss ist hier noch etwas ungünstig, da man nur durch den Arbeitsraum zur Garderobe, zum WC und in das Kellerlabor gelangt. Das Kellergeschoss hat hier noch keine Fenster.
Es folgen weitere Ausarbeitungen insbesondere der inneren Gliederung. Entwurf und Ausführungsplanung gingen in dichter Abfolge neuer Pläne Hand in Hand. Mendelsohn verlegte den Arbeitsraum auf die Südseite des EG, wo er auch bleiben sollte. Noch gibt es keinen Übernachtungsraum, doch ist die Anordnung von WC, Kellerzugang und Turmaufgang wesentlich funktionaler gestaltet. Im Turm sind zwei Podeste hinzugekommen: das eine, um leichter an die Linse im Teleskop zu kommen, das andere, direkt unterhalb der Kuppel gelegene, um die regelmäßig notwendige Versilberung der schweren Spiegel des Coelostaten bequem vornehmen zu können.
Am 28.6.1920 schreibt Erich an Luise über den letzten Entwurfsstand: „wir haben den Sonntag um den Turm gesessen (Kapr.[owski] u. ich) um ihn austoben lassen. Kurzer Halbschlaf Nachmittag mit Vision, die letzte wunde Stelle gesund zu machen. Der Turm wird eckig. Dadurch wird das Herauswuchten des Turms aus der gelagerten Masse des Arbeitszimmers ermöglicht, seine Tendenz rückwärts wird sichtbar, der Kampf zwischen den Polen: Arbeitsraum u. Eingang in den Turm als den logischen Schwerpunkt verlegt. Turm wird Energiepunkt, Austrag, Herrscher zwischen 2 Willen. Der eckige Grundriß spart Geld. Problem ist nur noch die runde Kuppel auf dem Viereckturm. Das wird sich im Detail finden. […] Der Vergleich mit den ersten Skizzen schlägt. Linie muß sterben, muß Massenumriß werden. Linie darf nicht Energie, nicht Bewegung vorgeben, wenn die Masse fehlt. Architektur ist Massenherrschaft. Du mußt nun entscheiden, ob Ringe oder die ungeschmälerte = brutale Mauer. Freundlich ist zurück. Zeiss ist entzückt. Stiftet Optik für 1/2 Million. Bei Stiftung von Cement und Eisen kommen wir auf 350 000.- sparsamster Rechnung. Also: morgen früh Konferenz – Kuratorium u. Architekt – in Potsdam. Jedenfalls zum Sonntag bin ich nicht bei Dir.“
Das Potsdamer Hochbauamt verlangte nach Durchsicht des Planstands im September 1920 Kellerfenster, um eine gute Entlüftung zu gewährleisten, Tageslicht in die Laborräume zu bringen und dadurch Stromkosten zu sparen. Darauf reagierte Mendelsohn umgehend. Neben den geforderten Kellerfenstern entstand in diesem Zuge auch der Übernachtungsraum oberhalb des Arbeitsraums. Nur der kleine Balkon für den Wetterausblick auf der Südseite fehlte hier noch. Im selben Monat wurde bereits mit dem Bau begonnen, auch wenn die letzten Pläne noch nicht gezeichnet waren.